18. Februar 2020 – Kinderwunsch und Krankenkasse
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Was in anderen Ländern Europas scheinbar selbstverständlich ist, soll nun auch in der Schweiz möglich werden: Krankenkassen zahlen Beiträge an Kinderwunschbehandlungen.
Zumindest hat die erste Kasse vor kurzem genau dazu einen Lancierungsevent veranstaltet.
Ehrlich gesagt hält sich meine Begeisterung in Grenzen.
Zwar kenne ich viele Paare, die froh (gewesen) wären, wenn sie in ihrer Behandlungszeit wenigstens die finanzielle Belastung kleiner gewesen wäre.
Und es tut mir leid für sie, dass sie so viel Geld ausgegeben haben, um dann letztendlich doch ohne Kind dazustehen und auf eine Leidenszeit zurückzublicken, die Spuren hinterlassen hat.
Im besten Fall können die Paare sagen: "Wir haben es wenigstens probiert. Sonst hätten wir uns vielleicht später Vorwürfe gemacht, dass wir das nicht getan haben. Wir wüssten nicht, ob wir vielleicht Eltern geworden wären, wenn wir es probiert hätten."
Unter den Frauen, die ich für
mein erstes Buch interviewt habe, waren auch solche, die "halt einfach nicht schwanger wurden". Und garantiert haben Frauen auch früher bei jedem Einsetzen der Monatsblutung von Neuem mit dem Schicksal gehadert, dass es wieder nicht geklappt hat.
Doch für eine Frau, die in einer Kinderwunschbehandlung drin ist, dreht sich alles nur noch um dieses Thema. Sie folgt einem genau vorgegebenen Plan und nimmt täglich Hormone zu sich, was körperliche und oft auch psychische Veränderungen, zur Folge hat. Oft richtet sich der ganze Alltag eines Paares nach der Behandlung aus.
Dass eine Frau ihr Arbeitspensum reduziert oder ihren Job gar kündigt, um weniger Stress zu haben und sich ganz auf die Unternehmung Mutterwerden einlassen zu können, ist keine Seltenheit.
Fast alle Paare berichten von einem belastenden Karussell von Hoffnung und Enttäuschung, das erst dann stoppte, als sie sich entschieden haben, definitiv keine Versuche mehr zu machen.
Die meisten empfanden das endgültige Aufhören damit als Erleichterung und sagen rückblickend, ab da sei es psychisch wieder aufwärts gegangen, auch wenn die Trauer dann längst nicht überwunden ist.
Wenn nun also diese Behandlungen von der Kasse abgedeckt werden, wozu führt das?
Dass in Zukunft noch mehr Paare diesen leidvollen Weg gehen, der rein objektiv gesehen eher zum Scheitern als zum Gelingen führt?
Dass die Haltung "Das muss doch heute nicht mehr sein!?", als Reaktion auf die Aussage, man sei unfreiwillig kinderlos, sich noch stärker breit macht?
Jetzt schon haben manche Frauen ein schlechtes Gewissen, wenn sie die Behandlung abschliessen oder gar nicht erst eine beginnen: Sie haben für ihren Kinderwunsch nicht alles getan. "Dann kann dein Wunsch ja nicht so gross sein", quälen nicht nur innere Stimmen.
Wie sieht es damit erst aus, wenn diese Behandlungen zur Norm gehören?
Nun gut, beim aktuellen Angebot ist noch nicht von der Norm die Rede, es scheint so unattraktiv zu sein, dass es Betroffene, die die Bedingungen genauer lesen, erst mal wütend macht.
Aber andere stürzen sich darauf, weil sie sowieso alles tun würden, um Eltern zu werden.
Und es ist der erste Schritt einer Entwicklung in einer Richtung, die das Leben ohne eigene Kinder wieder stärker in eine defizitäre Ecke rückt.
Der Satz "Infertilität ist also schon lange kein zu akzeptierendes Schicksal mehr." in der Einladung zum Lancierungsevent erinnert mich daran, wie schwer es vielen Frauen fällt, ihre Kinderlosigkeit zu akzeptieren. Nur wenn ihnen dies gelingt, können sie zurückkehren in ein erfülltes Leben, in dem sie auch ohne Kinder zufrieden sind.
Wird ihnen das nun noch schwerer gemacht oder ist es eine Entwicklung, die schon lange fällig war?
Ich bin gespannt auf eure Meinungen.
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