23. Mai 2021 – Hintergründe und Zusammenhänge, Teil 2
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Kürzlich habe ich von den Verletzungen geschrieben, die man als Kind fast zwangsläufig abbekommt.
Und dass die später das Erwachsenenleben beeinflussen, ohne dass man sich dessen bewusst ist.
Stattdessen ist man vielleicht einfach unzufrieden, hat unbestimmte Sehnsüchte, fühlt sich unglücklich.
Als Ursache sieht man in der Regel die Dinge, die nicht so laufen, wie man es sich vorgestellt hat. Wünsche, die sich nicht erfüllen.
Doch ist es nicht erstaunlich, wie unterschiedlich Menschen mit schwierigen Lebenslagen umgehen können? Die einen zerbrechen an derselben Sache, die anderen kaum etwas auszumachen scheint.
Nahestehende, die eine schwierige Lage mitbekommen, versuchen dem auf alle möglichen Arten zu begegnen. "Probier's doch damit" "Du musst halt dies tun" "Werde doch endlich erwachsen" sind Tipps, die gegeben werden.
"Nimm dir doch mal eine Auszeit"
"Finde endlich mal einen Partner, der dir gut tut"
"Such dir einen anderen Job / eine andere Wohnung / eine andere Partnerin"
"Mach doch noch eine Ausbildung"
"Gründe eine Familie"
Von aussen meint man oft klar zu sehen, was die Lösung für das Problem eines Menschen wäre. Kein Wunder, geht's dem schlecht, der müsste doch einfach mal ...
Hand aufs Herz – machst du das nicht auch bei manchen Menschen? (Denken, dass jemand halt einfach dies oder das ändern müsste, damit es ihm besser geht.)
Genau so kommt es auch zu den Tipps für kinderlose Frauen. Ist ja klar, was denen fehlt: Ein Kind.
Kinderlose Frauen gehören noch immer nicht wirklich ins Gesellschaftsbild. Und der Mythos, dass Mutterschaft das grösste Glück ist, hält sich hartnäckig.
Wer sich liberal denkend fühlt, sagt: "Muss doch jede selbst wissen, was sie gut findet und wie sie leben will."
Doch wehe, eine kinderlose Frau ist nicht hundertprozentig zufrieden. Dann ist sonnenklar, woran das liegt.
Selbst dann, wenn sie versichert, gar keine Kinder zu wollen, bleibt man bei dieser Auffassung. Sie unterdrückt halt ihren Kinderwunsch – kein Wunder, geht es ihr damit nicht gut.
Diese Haltung ist sosehr in den meisten von uns verankert, dass viele Frauen von sich aus daran zweifeln, ob sie glücklich werden können, wenn sie nicht Mutter werden.
Und wenn ein Kinderwunsch da ist, der sich nicht erfüllt, hat frau nicht nur das Recht, unglücklich zu sein, sondern eigentlich sogar die Pflicht. Zumindest wird es von ihr erwartet.
Ein unerfüllter Wunsch bringt das Wohlbefinden immer zuerst ins Wanken, es kommt Sehnsucht auf, Trauer macht sich breit und man hadert mit dem Schicksal.
Doch meistens findet man neue Ausrichtungen und andere Wege zum Glück.
Nicht so beim Kinderwunsch.
Die Idee, dass auch der Wunsch nach einem Kind – wie andere Wünsche auch – eine bestimmte Vorstellung davon ist, wie ein aktuelles Mangelgefühl sich auflösen könnte, ist schon fast ketzerisch.
Darf man den Kinderwunsch wirklich so anschauen?
Ich merke nur schon beim Schreiben, dass ich das eigentlich nicht tun darf. Damit mache ich mich sehr unbeliebt.
Folgendes wird nämlich als allgemein gültig angenommen:
Der Kinderwunsch ist sicher kein Versuch, einen Mangel auszugleichen.
Der Kinderwunsch ist einfach natürlich – jede Frau hat ihn.
Eine Frau, die trotz unerfüllten Kinderwunsch glücklich wird, deren Kinderwunsch kann nicht gross gewesen sein.
Tatsache ist jedoch, dass ich in meiner Arbeit beim Eintauchen in den Kinderwunsch immer wieder miterleben darf, was unter diesem Wunsch verborgen ist. Tiefste Bedürfnisse, die hinter dem Kinderwunsch stecken, sind z.B. Liebe zu erfahren / eine Daseinsberechtigung zu haben / dazu zu gehören / einfach sein zu dürfen / Sinn zu fühlen in dem, was man tut. Um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.
Wenn es einer Frau dann gelingt, sich um diese Essenz zu kümmern, dafür zu sorgen, dass sich ihr Bedürfnis auf anderen Wegen erfüllen darf, wird der Abschied vom Kinderwunsch auf einmal leichter.
Die grosse Hürde, diesen Weg zu gehen, ist jedoch die Glorifizierung der Mutterschaft und des Kinderwunsches. Vielleicht kennt das die eine oder andere von euch auch, dass es ihr gar nicht so einfach gemacht wurde, vom Kinderwunsch Abschied zu nehmen. Dass da noch anderes war als ihr eigener Anteil. Nahestehende, die für sie weiter hoffen wollten; als "Wahrheit" verkaufte Meinungen, die davon ausgehen, dass eine Frau nur glücklich sein kann, wenn sie Mutter wird, etc.
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