24. Dezember 2018 — Zufrieden ohne Weihnachtsstimmung


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Seit gut einem Monat komme ich mir im öffentlichen Raum wieder vor wie ein Alien. Bin ich auch unter OK-Menschen die einzige, die kein Bedürfnis nach weihnächtlicher Stimmung hat?
Wenn ich offen dazu stehe, erhalte ich Antworten wie "Ja, bei dem Wetter kommt keine Adventsstimmung auf." Das meine ich aber gar nicht. Ich sehne mich ja nicht danach und mir geht es gut dabei.
Die stimmungsfördernden Attribute überall wirken auf mich gekünstelt und kommerziell motiviert. Ich weiss nicht, wann mir dieses Bedürfnis abhanden gekommen ist.
Als OK-Frau besteht jedenfalls keine Notwendigkeit, es neu zu beleben. Ich bin ja nicht mal Tante oder Patin.

Als Kind freute ich mich auf das Weihnachtsfest bei meinen Grosseltern mit allen Verwandten. Das war eine lustige Gesellschaft von jungen Erwachsenen und warmherzigen Grosseltern.
Abgesehen von den jüngsten Tanten und Onkeln war ich ein paar Jahre das einzige Kind und die Stimmung war an diesem Tag magisch.

Das begann sich zu ändern, als später meine jüngeren Cousinen und Cousins die Verpackung ihrer Geschenke mit einer Gier zerrissen, die mir weh tat. Ich knotete mit Geduld die Geschenkbändchen auf und löste die Kleber vorsichtig vom Glanzpapier ab, so dass man Bänder und Papier nochmals brauchen konnte. Respekt gegenüber der Person, die das Geschenk schön verpackt hatte und der Recyclinggedanke waren für mich selbstverständlich. Die Kleinen fingen an zu plärren, wenn sie nicht das Gewünschte erhielten oder andere in ihren Augen etwas besseres erhalten hatten.

Vermutlich blieb damit schon ein Teil der magischen Stimmung auf der Strecke. Der Rest wurde wohl von meiner Adoleszenz aufgefressen.
Meine jüngeren Cousinen wurden vor mir erwachsen. Sie gründeten eigene Familien. Denen und dem Tod der Grossmutter fiel die heimelige Weihnachtsfeier zu Opfer.
Dafür geriet ich in meinem ersten Beruf als Primarlehrerin schon bald in die Rolle, für eine Schar Kinder Adventsstimmung zu schaffen. Meine Haltung dazu war nie ein Thema; es war einfach eine Notwendigkeit, die ich nicht hinterfragte. Mir war dabei weder feierlich noch besinnlich zumute, Hauptsache die Kinder fühlten sich wohl.

Geht das nicht vielen Eltern auch so? Wie würden sie sich in einer Runde Erwachsener verhalten? Seit ich meinen Beruf gewechselt habe, muss ich für niemanden mehr weihnachtlich tun.
Der Umstand, dass wir unseren Eltern keine Enkel lieferten, verhinderte eine Weiterführung des grosselterlichen Festes bei unseren Eltern. Die schmücken zwar jedes Jahr mit Liebe ein Bäumchen und wir setzen uns kinderfreilos hin und singen ein paar Lieder, aber ich bin froh, wenn es nicht unbedingt die traditionellen sein müssen.

Da ist niemand, für den es eine bestimmte Stimmung zu schaffen gilt. Und das empfinde ich als entspannend; wahrscheinlich habe ich das in meiner Zeit als Lehrerin bereits genug gepflegt.
Mir scheint auch das Gen oder der Trieb zu fehlen, der mich in der Adventszeit meine Wohnung schmücken oder ein Bäumchen anschaffen lässt.

Die allgegenwärtige Aufforderung zum Überkonsum erzeugt bei mir soviel inneren Widerstand, dass ich mir seit ein paar Jahren erlaube, kein einziges Weihnachtsgeschenk mehr zu kaufen.
So habe ich im Dezember keinen Stress und dafür manchmal ein Ohr für eine Kassiererin, die mir berichtet, wie unglaublich ungeduldig und rüpelhaft die Kunden heute miteinander – nicht nur mit ihr – umgegangen wären.

Die magische Stimmung von früher vermisse ich nicht, emotional Vergleichbares erlebe ich in anderen, datumsunabhängigen Momenten oft spontan.



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